Die junge Amanda Engel erwarb ca. 1882 an der Gewerbeschule Basel ein Diplom als Zeichenlehrerin. In Solothurn wurde sie wenige Jahre später als Expertin zu Schulexamen herangezogen.
In ihrem Tagebuch schreibt sie als Jungverheiratete Frau im Juli 1886 von Prüfungen am Lehrerinnenseminar. Dort habe sie "Arbeiten" begutachtet (vermutlich sind Zeichnungen oder Handarbeiten gemeint). Am Morgen des 30. Juli besuchte sie das Examen der Klasse von Anna Rossell, "welches nicht ganz glänzend lief".
Am Nachmittag desselben Tages wurde sie von der Lehrerin Elise Roth abgeholt. Gemeinsam begaben sich die beiden Frauen zum Kloster Nominis Jesu. Dort sollten Prüfungen an der Mädchenschule stattfinden. Es waren noch weitere Solothurner Lehrerinnen anwesend, ausserdem der Kantonsschullehrer und Bibliothekar Professor Gisi, diverse Lehrer und etliche Geistliche, u.a. Kaplan Johann Eusebius Pfluger.
Wie nervös und eingeschüchtert müssen die Mädchen im Schulzimmer gesessen haben, mit einem Dutzend Respektspersonen vor Augen! Amanda schreibt jedoch, das Examen sei "ganz ordentlich" verlaufen und von den Kapuzinerinnen selbst abgenommen worden. Sicher eine Erleichterung für die Schülerinnen, von ihren Lehrerinnen befragt zu werden, statt von einem gestrengen Herrn mit Bart und Zwicker.
Hinterher "deklamirten die älteren Kinder noch eine Selbstdichtung, <der Gütterlidockter> von Hr. Pfarrer Pfluger, Nominis Jesus Pfarrer, welches allgemein zu lachen und zu denken machte. Als letzten Theil mußten wir noch auf die Badstube, um dort ein gutes Glas Waadtländer auf die Strapazzen [!] zu nehmen", schreibt Amanda Amiet-Engel. "Nachdem ich Bekanntschaft mit der Frau Mutter & mit 2 anderen Schwestern gemacht hatte ... gingen wir heim. Es war 6 1/4 Uhr."
Ein wahres Vergnügen für den ErziehungsRath ...
Im Mai 1801 unterbreiteten die Schwestern dem solothurnischen Erziehungsrat das Gesuch, eine Schule für Mädchen aus einkommensschwachen Familien zu führen. Dahinter stand auch der Gedanke, dass sie so in ihr Kloster zurückkehren könnten, aus dem sie 1799 durch die französische Besatzung vertrieben worden waren.
Erst im Februar 1802 erhielten sie positiven Bescheid: "Es ist ein wahres Vergnügen für den Erziehungsrath, dass die Regierung unterm 16. Jenner dieses Jahres Ihrem Vorhaben entsprochen hat."
Unterdessen hatten die Franzosen das Kloster verlassen. Dieses befand sich in desolatem Zustand: "Wochenlang mussten die jüngeren Schwestern die Klosterräume reinigen und in Stand setzen, um sie wieder bewohnbar zu machen", schreibt Sonja Werner 1952 in einem Zeitungsartikel. Im Westflügel des Klosters richteten sie ein Schulzimmer ein, um "sich mit der Erziehung der ärmeren Jugend abzugeben und derselben im Lesen, Schreiben und der h. Religion und in Arbeiten Unterricht zu erteilen", laut Beschluss des Erziehungsrats.
JUNG, TALENTVOLL – Eine geborene Lehrerin
Die ersten Lehrerinnen an der neugegründeten Mädchenschule waren die Schwestern Maria Anna Katharina Hofstetter und Maria Ursula Antonia Lüthi. Lehrschwestern mussten sich Schulstoff und Lehrmethoden aus Büchern aneignen, mit Unterstützung von anderen Klosterfrauen, die bereits Erfahrung im Unterrichten hatten. Die Schule war unentgeltlich, und das Kloster stellte den Schülerinnen die Lehrmittel gratis zur Verfügung.
Im Jahr 1885 begann Schwester Maria Rosalia Widmer, an der Mädchenschule zu arbeiten. Sie war laut der Chronik des Klosters "jung, talentvoll" und "eine geborene Lehrerin". Im Jahr 1886, als Amanda zum Examen eingeladen wurde, muss dort ausserdem Schwester Maria Philiberta Hitz als Arbeitslehrerin gewirkt haben. Pfarrer Pfluger unterrichtete die 7. Klasse, also die grössten Mädchen.
Kinder aller Primarschulstufen wurden jahrzehntelang zusammen in einem einzigen Raum unterrichtet. Erst im Jahr 1911 wurde dies geändert und die rund 60 Schülerinnen von der 1.-7. (später 8.) Klasse auf drei Räume verteilt. Die Schule galt als wichtige Aufgabe des Klosters und bildete laut Sonja Werner quasi dessen Daseinsberechtigung. Zum Ende des Schuljahrs 1968 wurde die Schule geschlossen.
Ein seltsamer Zufall
Amanda Tröndle-Engels Erben übergaben mir ihr Tagebuch erst Monate nach dem Erscheinen meines Buches. Ich konnte also nicht wissen, dass Amanda eine Elise Roth im wirklichen Leben gekannt hatte, als ich eine meiner fiktiven Personen so nannte. In den Briefen, die ich las, kam keine Frau vor, die so hiess.
Wie der Name Elise Roth die Mauer zu meinem Bewusstsein übersprungen und sich in das Manuskript geschlichen hat, weiss ich nicht. Allerdings ist die Person dieses Namens in meinem Roman Krankenpflegerin und nicht die Lehrerin, welche mit Amanda im Juli 1886 zum Examen in der Klosterschule ging.
BIBLIOGRAFIE
- Amanda Tröndle(-Amiet)-Engel: Tagebuch vom 14. Juli 1886 bis 7. Januar 1887. Manuskript, Privatbesitz.
- Beschluss des Erziehungsrats vom 04. Februar 1802: Klosterschule Nominis Jesu: Bewilligung zum Führen einer eigenen Schule (BGS 413.813.2)
- Sonja Werner: 150 Jahre Klosterschule Nominis Jesu in Solothurn. In: Solothurner Anzeiger, 25. Oktober 1952, Nr. 249.
- Grosse Chronik des Kapuzinerinnenklosters Namen Jesu in Solothurn 1609-1913, herausgegeben und kommentiert von Sonja Viktoria Werner. In: Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 2009, S. 15-255
- Johanna Strübin: Kapuzinerinnenkloster Namen Jesu. In: Die Stadt Solothurn III, Sakralbauten. Bern: GSK, 2017. S. 382-413.
- Mara Meier: Im Sommer sind die Schatten blau: Amanda Tröndle-Engel. Romanbiografie. Basel: Zytglogge, 2022
Bildnachweis
Vorschau-Bild: Schulschwester mit Mädchen, Zeichnung von Mara Meier nach einer Foto des 19. Jahrhunderts (Ausschnitt)
Illustration im Text: Auschnitt aus Amandas Tagebuch, Eintrag vom 30. Juli 1886
Illustration im Text: Postkarte (Ausschnitt) aus der Sammlung der Zentralbibliothek Solothurn: Kloster Nominis Jesu, ca. 1907 (FS_P_05345)
Illustration im Text: Umfassungsmauer Kloster Nominis Jesu, Solothurn. Foto: Mara Meier, 2022